Ein österliches Fastentuch

Gedanken zum Fastentuch „Lebensschnüre“ der Pfarrgemeinde St. Nikolaus Inzersdorf beim Wortgottesdienst am 1. Fastensonntag    

Aus der Nähe betrachtet, im Altarraum stehend, siehst du viele dünne, regelmäßig exakt gehäkelte Schnüre  – und gleich daneben hängen die flauschig weichen Schnüre mit den großen Maschen. Die meisten Schnüre sind violett und rosa – heller und dunkler, in vielen Schattierungen. Und dazwischen hängen auch einige knallig bunte Schnüre. So vielfältig wie die Menschen sind, die an diesem Fastentuch gearbeitet haben, so bunt wie ihre Motivation und ihre Freude über das gemeinsame Tun, so sind auch die Schnüre. Ist die Beleuchtung im Altarraum aufgedreht, werfen die bunten Schnüre dünne graue Schattenfäden, die sich harmonisch in das Gesamtbild einfügen.

„In meine Schnur habe ich all meine Fürbitten hineingehäkelt“, sagt eine Frau beim Aufhängen des Fastentuchs. Die eigenen Herzenswünsche und Sorgen sind in das Fastentuch eingewoben und auch die Not und das Leid der anderen, wenn wir uns davon berühren lassen.

„Zwei sind besser als einer allein, und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell“, schreibt der Prophet Kohelet im Alten Testament. -„Und was ist, wenn die  Schnur doch reißt?“, fragst du dich vielleicht. Dann ist es auch nicht vorbei. Die beiden Enden einer gerissenen Schnur können wieder mit einem starken Knoten zusammengebunden werden. So eine Schnur macht dann sichtbar, dass das Leben nicht perfekt ist und seine Spuren hinterlässt. So eine Schnur hält aber auch Stand, hält fest, vielleicht besser als zuvor.

Stehst du in der Mitte des Kirchenraumes, kannst du das Gesamtbild auf dich wirken lassen. Das Fastentuch verdeckt das Kreuz und dennoch wirkt es luftig und transparent. Dicht nebeneinander aufgehängt sind die Schnüre, aber immer wieder bleibt ein Spalt dazwischen frei. Die Umrisse des Kreuzes, die sich abzeichnen, sind in ein goldenes Licht getaucht.

An der Kirchentür beim Hinausgehen wirfst du noch einmal einen Blick auf das Fastentuch. – Es ist ein österliches Fastentuch. Es schenkt eine Ahnung von dem, was kommen wird. Trotz allem. Für alle.

Text: Ulrike Heimhilcher–Dohnal, 9. März 2025            

Fotos: Nina Chalupsky, Oliver Meidl

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