Ein „fadenscheiniges“ Fastentuch

Die Fäden des neuen Fastentuchs von Inzersdorf bilden keine Trenn-Wand, die undurchdringlich ist, sie sperren nicht ab, sie verdecken nicht total. Das „Tuch“ ist im wahrsten Sinn des Wortes fadenscheinig. Es lässt durchblicken und aufblitzen, dass hinter ihm eine Wirklichkeit steht, die beständig da ist.

Die Fäden können auch als Zeichen dafür verstanden werden, dass sich etwas (aus Wollknäueln!) ent-wickelt hat, das vielleicht weitergesponnen werden sollte. Gleichzeitig zeigt unser Fastentuch, dass aus den vielen einzelnen Fäden nach und nach ein großes Ganzes geworden ist – das war anfangs fast nicht vorstellbar. Es ist kein fertiges Gewebe entstanden und es gibt kein vorgegebenes Muster, aber beim aufmerksamen Hinsehen, mag sich so manches Muster ergeben. Die Fäden hängen frei im Raum, sie sind beweglich im leichten Luftzug, ihre Farben ändern sich mit dem Einfall des Lichts. Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Fäden machen die Schönheit und den Reiz aus.

Viele fleißige Hände haben daran gearbeitet: mit verschiedenen Fäden, mit dicker Wolle, feinem Garn, in unterschiedlichen Farben, gehäkelt oder geknüpft. Das Ergebnis ist etwas Großes – beweglich, lebendig, vielfarbig.

Kann das ein Bild für unsere Gemeinde sein? Dass wir gemeinsam etwas zustande bringen, das auch Freude macht? Die fertigen Fäden hängen gleichwertig nebeneinander und bilden doch ein Ganzes, weil sie einen gemeinsamen Halt haben, der sie verbindet. Vom goldenen Hintergrund der Apsis schimmert lebensstärkende Hoffnung durch.

Das neue Fastentuch von Inzersdorf ist entstanden aus einer konkreten Situation und ist das Ergebnis vieler kleiner konkreter Handlungen. Es kann ein Anfang sein. Seine vielfältigen Fäden könnten uns herausfordern, sie einmal zu einem Muster zu gestalten. Es liegt an uns, sie zueinander in Beziehung zu setzen und zu verknüpfen.

Alle, die hier am Werk waren – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – haben auch ein Stück ihres eigenen Lebensfadens in ein größeres Ganzes „eingewoben“, besser gesagt: eingehäkelt oder eingeknüpft. In alten Zeiten waren es „weise“ Frauen, die die Lebensfäden gesponnen haben. Das Fastentuch von Inzersdorf ist ein Beispiel dafür, dass diese Tradition immer noch lebt. Das alte Motiv der Lebensfäden ist ein wesentlicher Bestandteil der Mythologie bis in die Gegenwart. Es ist eindrucksvoll, dass sich aus Knäueln von Fäden nach und nach Neues, Anderes herausentwickeln kann. Nehmen wir die Fäden behutsam auf und weben wir sie zu einem Lebensmuster, das Mut macht, Hoffnung stärkt und Leben schenkt. Das Gewebe unseres Lebens bildet sich aus verschiedensten Fäden, wobei Notwendiges und Zufälliges, Willkürliches und Gewolltes in Beziehung stehen. Das gilt auch für das Leben mit und in unserer Pfarrgemeinde.

Text: Eva und Peter Malina
Fotos: Nina Chalupsky, Ulrike-Heimhilcher Dohnal, Judith Knell

Tipp: Die Textilkünstlerin Irmgard Moldaschl hat dem Lebensfaden in ihren textilen Arbeiten eine berührende Gestalt gegeben: Biographiearbeit, textiles Gestalten und kreatives Schreiben werden bei ihr zu einer Einheit. Ab 03. April 2025 gibt es dazu bis Ende Juni eine Ausstellung im Haus der Stille (Haus der Stille. Friedensplatz 1. 8081 Heiligenkreuz am Waasen). Vom 21.-23. November 2025 bietet sie zusammen mit Maria Grentner ebenfalls dort ein Wochenende an zum Thema „Lebens-Muster: Wärme und Licht“.

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