Eine klare Sicht bekommen

Aus der Predigt in der Wortgottesfeier am 8. März 2020 von Ulrike Heimhilcher-Dohnal

Gedanken zur Verklärung Jesu (Mt 17,1–9)

Im Religionsunterricht habe ich einer zweiten Klasse Gymnasium die Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch erzählt. Und plötzlich hat einer der Buben gesagt: Das ist eine wunderschöne Geschichte und ich glaube Ihnen auch jedes Wort. Aber bei mir hat sich Gott noch nie gemeldet. Warum hört man heute nichts von Gott, warum sind diese Sachen alle nur früher passiert?

An dieses Statement, an diese Frage habe ich wieder gedacht, als ich das heutige Evangelium von der Verklärung Jesu gelesen habe. Warum habe ich noch nichts Vergleichbares erfahren? Warum passiert so etwas nicht uns? Würde uns eine solche Erfahrung verwandeln? Würden die anderen es uns anmerken – an der Art und Weise, wie wir von Gott und Jesus reden? Würden wir anders durchs Leben gehen?

Für die Jünger war dieses Erlebnis der Verklärung Jesu am Berg jedenfalls eine kurze Atempause in einer sehr herausfordernden Phase ihrer Jüngerschaft: Gerade noch hat Petrus versucht Jesus davon abzuhalten, nach Jerusalem zu gehen. Er will Jesus vor seinem bereits offensichtlichen Schicksal bewahren. Für dieses Ansinnen wird er von Jesus aber scharf zurechtgewiesen: „Tritt hinter mich, du Satan! Du willst nicht, was Gott will!“, sagt Jesus zu ihm.

Und nach der Verklärung zurück vom Berg herunter und wieder bei den Menschen, versuchen die Jünger ein Kind zu heilen. Erfolglos. Als sie Jesus ihr Scheitern eingestehen, hält der ihnen ihren Kleinglauben vor. So beeindruckend die Erfahrung mit Jesus auf dem Berg für sie auch war, so schnell holt der Alltag aber die Jünger auch wieder ein.

Und das ist doch schon eine Gemeinsamkeit, die wir mit den Jüngern haben. Mag ein Erlebnis, eine Erfahrung noch so bezaubernd, so berührend gewesen sein, die Mühen und die Monotonie des Alltags lassen sie oft schnell zur Erinnerung verblassen.

Eine zweite Gemeinsamkeit zwischen den Jüngern und uns: Wenn unsere Faszination und Begeisterung so groß, so erfüllend ist, dann hoffen und wünschen wir, dass dieses Glück ewig andauert. So ist auch das Angebot des Petrus zu verstehen. Er möchte drei Hütten bauen: Jesus, Mose und Elija sollen bei ihnen, den Jüngern, bleiben.

Und dann das Erschrecken und die Ehrfurcht als sie zu begreifen beginnen, dass bei Gott, dass mit Jesus alles nochmals anders ist, als sie bisher geglaubt haben.

Für fromme Juden wie die Jünger Jesu waren Moses und Elija die großen Autoritäten ihres Glaubens: Mose der Hüter der 10 Gebote und der Prophet Elija der Vorbote des Messias. Aber plötzlich sind Moses und Elija weg und „sie sahen niemanden außer Jesus allein“ – wie es im Text heißt. Das weiße Licht in dem Jesus erstrahlt und die Stimme Gottes, helfen ihnen klarer zu sehen. „Eine klare Sicht bekommen“ – das ist es ja, was im Wort „Verklärung“ steckt: Das Geheimnis Jesu, seine Person, seine Nähe zu Gott sind größer als die von Mose und Elija. Dieser Gedanke, diese Erkenntnis war für die Jünger sicher nicht leicht zu begreifen. Und reden können und sollen sie auch nicht darüber, wie es Jesus ihnen ja aufträgt. Dennoch gehen Sie mit Jesus wieder den Berg hinunter und dann etwas später nach Jerusalem.

So manches aus der Erzählung von der Verklärung Jesu am Berg kennen wir also doch auch aus unserem Leben und unserem Glauben. Wir kennen die große Sehnsucht nach dem Mehr und die schnelle Ernüchterung im Alltag. Wir spüren das Erschrecken und die Ehrfurcht vor der Nähe Gottes. Wir wünschen, dass Momente des Glücks ewig dauern mögen. Es fällt uns schwer vertraute Vorstellungen aufzugeben und dann gewinnen wir plötzliche doch eine klare Sicht und eine neue Erkenntnis. Und wie schwer tun wir uns über das, was uns im Innersten bewegt, miteinander zu reden!

Zurück zur Schülerfrage vom Anfang. Ich habe ungefähr so geantwortet: Eine Geschichte, genauso wie sie in der Bibel steht, werden wir wohl nicht erleben. Aber wenn wir uns auf diese Erzählungen einlassen, versuchen ihnen auf den Grund zu gehen, dann können wir auch etwas aus unserem Leben und Glauben darin entdecken, dann beginnt Gott auch zu uns in diesen Geschichten zu sprechen. Und wir werden ihn in unserer Sprache heute hören und verstehen: je nach Alter und Charakter nüchterner, cooler oder auch ganz anders. Ich hatte den Eindruck, der Schüler war halbwegs zufrieden mit dieser Antwort.