Das Mittel für Gottes Liebe

Ansprache zu Mt 22,34-40 und Ex 22,20-26 von Ulrike Heimhilcher-Dohnal, Predigt aus der Wortgottesfeier vom 25. Oktober 2020.

Wer politische Diskussionen – besonders in Wahlkampfzeiten – im Fernsehen verfolgt, kennt das Phänomen. Es geht oft nicht um die Sache, um das Thema oder das Problem, sondern nur um den Versuch, den anderen mit einer Frage aufs Glatteis zu führen. Und genau das gibt es auch schon zur Zeit Jesu, wie wir im Evangelium gehört haben.  

Immer wieder versuchen bestimmte Gruppen Jesus im Gespräch auf die Probe zu stellen, auszutesten. Einmal sind es die Pharisäer, einmal die Sadduzäer. Diesmal ist es ein Gesetzeslehrer, der Jesus eine Fangfrage stellt.

Er möchte von ihm wissen, welches das wichtigste Gebot ist. Dabei denkt er nicht nur an die zehn Gebote, die auch für uns von richtungsweisender Bedeutung sind. Er meint auch die vielen religiösen Vorschriften, die darüber hinaus in der Tora stehen. Aus der Sicht des frommen Rechtsgelehrten kann Jesus die Frage nur falsch beantworten. Denn – entscheidet er sich für eines der Gebote, kann man ihm vorwerfen, die anderen nicht zu kennen, geringzuschätzen oder gar zu missachten.

Jesus lässt sich mit dieser Fragestellung nicht provozieren. Er geht auf diese „entweder – oder“ Rhetorik, „entweder das eine oder das andere Gebot“, gar nicht ein. Mit seiner Antwort verwandelt er die Fangfrage des Schriftgelehrten in eine Frage nach der Bedeutung, nach dem Sinn der Gebote. Und die Antwort Jesu bedeutet: Die Mitte, das Zentrum aller Gebote ist das Gebot der Liebe.

Liebe – ist das große Gefühl, ohne dem kaum ein Lied, ein Gedicht, ein Roman oder irgendein Kunstwerk auskommt. Liebe ist die Ursehnsucht des Menschen. Ohne Liebe zu empfangen, kann das Kind nicht wachsen und gedeihen. Liebe lässt Menschen Großartiges vollbringen und Liebe lässt uns einfach nur glücklich sein.  Hingegen – enttäuschte und missbrauchte Liebe führt zu Unheil und Tragödie. Auch davon erzählen Dichtung, Musik und Kunst.

Und Liebe in der Bibel, im Evangelium?

Jesus spricht von der Liebe nicht als dem großen Gefühl. Sondern: Liebe ist das Gebot: Du sollst den Herrn deinen Gott lieben und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es geht Jesus also um eine Haltung – zu Gott, zu sich selbst und zu den anderen. Denn Liebe als großes Gefühl kann man nicht einfordern. Eine Haltung, ein Gebot allerdings schon!

Und wenn Liebe ein Gebot, eine Haltung ist, dann meint Jesus das nicht theoretisch, sondern konkret und praktisch – ganz so wie es der biblischen Tradition und dem jüdischen Glauben entspricht.

Erinnern wir uns an die Lesung aus dem Alten Testament. Da haben wir gehört: wir sollen die Schwachen unter uns – genannt werden an dieser Stelle die Fremden, die Witwen und die Waisen – nicht ausnützen. Und wir sollen Mitleid zeigen, und nicht in jedem Fall auf unserem Recht bestehen. Die Rede ist da vom Armen, dem wir nicht auch noch seinen letzten Mantel nehmen sollen. Auch dann nicht, wenn der uns als Pfand eigentlich zustehen würde.

Es geht hier um Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Die machen die Liebe also konkret. Und Gott fordert diese Haltung der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sehr entschieden und nachdrücklich von uns ein.

Diese innere Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe kommt auch in einer alten jüdischen Geschichte sehr schön und berührend zum Ausdruck. Ob Jesus diese Geschichte gekannt hat, als er das Gebot der Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe formuliert hat?

Die Geschichte geht so:

Ein engherziger Mann redete den gelehrten Rabbi an: Es heißt, ihr gebt den Leuten heimlich Heilmittel und eure Mittel seine wirksam. Gebt mir eines, damit ich Ehrfurcht vor Gott erlange. Für die Ehrfurcht vor Gott, sagte der Rabbi, habe ich kein Mittel. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr eins für die Liebe Gottes erhalten. Das ist mir noch erwünschter, rief jener, gebt es nur her. Das Mittel für die Liebe Gottes, antwortete der Rabbi, ist die Liebe zu den Menschen.

DAS MITTEL FÜR DIE LIEBE GOTTES IST DIE LIEBE ZU DEN MENSCHEN.

Nehmen wir diesen Satz als Zusage und auch als Auftrag mit in die neue Woche, in unseren Alltag.